Einmal Polen und zurück

Da war es wieder soweit. Eine Woche nach der Hitzeschlacht beim VIVAWEST Marathon in Gelsenkirchen, waren am 3.06.2018 abermals 42,195 Kilometer laufen angesagt. Und diesmal ging es in das 625 Kilometer entfernte Görlitz. Der Europamarathon in Görlitz ist der östlichste Marathon Deutschlands. Das Ding ist soweit östlich, dass es östlicher kaum geht und daher noch 13 Kilometer auf polnischer Seite gelaufen wird. Im Gepäck habe ich diesmal neben Serkan, der wieder mit am Start ist, auch ein Wörterbuch. Deutsch-Sächsisch! Im tiefen Sachsen ein muss für jeden Wessi wie mich! ;-))

Unsere Reise verlief unspektakulär und wir legten fast die gleiche Strecke wie nach Cottbus zurück. Auf dem Weg nach Görlitz kamen wir wieder am Tal der Ahnungslosen vorbei! Am Was??? Das Tal der Ahnungslosen, auch besser bekannt als Dresden! Gelernt hab ich das von meinem Cottbus Kumpel Dirk. Dresden galt zwischen 1948 und 1989 im Volksmund als die Hauptstadt im "Tal der Ahnungslosen". Während der Rest der Republik nämlich per Hausantenne Fernsehsender aus dem Westen Deutschlands empfangen konnte, mussten sich die Bewohner in der südöstlichen Ecke der DDR mit den zwei Sendern des Staatsfernsehens und systemtreuen Informationen zufriedengeben.

 

Gegen 14 Uhr kamen wir in Görlitz an. Unser erster Stopp war die Startnummern Ausgabe. Das ganze fand in der Turnhalle des Augustus Annen Gymnasium statt. Der Marathon kostet in der ersten Anmeldephase günstige 30 Euro. Preis Leistungsverhältnis ist absolut in Ordnung! Beim Europamarathon wird neben den 42,195 km auch ein Halbmarathon angeboten, sowie ein 5 km und 10 km Lauf. Walker können sich ebenfalls auf der 5 km und 10 km Strecke austoben. Für die Kids gibt es ein 2 km Jugendlauf und ein 400 m Bambini Lauf. Das war aber längst nicht alles! Es wurde noch ein Halbmarathon für Skater, Handbiker und Tretroller angeboten. Und vor uns Marathon Läufer durften noch die Einradfahrer auf die Strecke. 42,195 Kilometer auf einem Einrad! Krass!!!

Alles in allem sollte es also eine abwechslungsreiche Veranstaltung werden!

 

Nachdem wir dann unsere Startnummern am Mann hatten, ging es auf Sightseeing Tour durch Görlitz Altstadt. Auch hier musste ich mal wieder feststellen, dass ich doch sehr viele Vorurteile gegen Deutschlands Osten habe! :-(

Grau in grau, sanierungsbedürftig und marode. So habe ich mir Görlitz vorgestellt. Pustekuchen! Görlitz ist schön! Sehr schön sogar!!! Es ist für seine gut erhaltene Altstadt bekannt. Der wohl größte Schatz der Europastadt Görlitz/Zgorzelec ist ihr architektonischer Reichtum. Allein in Görlitz sind fast 4.000 Baudenkmale aus 500 Jahren europäischer Baugeschichte erlebbar. Größtenteils aufwändig saniert, finden sich hier Bauten der verschiedensten Epochen – von der Gotik, über die Renaissance bis zur Gründerzeit und dem Jugendstil.

Görlitz liegt im ehemaligen preußisch-niederschlesischen Teil der Oberlausitz, am westlichen Ufer der Lausitzer Neiße. Die ehemaligen Stadtteile am östlichen Flussufer bilden seit 1945 die polnisch verwaltete Stadt Zgorzelec. Görlitz und seine polnische Schwesternstadt Zgorzelec bezeichnen sich gemeinsam als eine Europastadt. Daher auch der Begriff Europamarathon.

Irgendwann sind wir bei unserer Sightseeing Tour über eine Fußgängerbrücke gelaufen. Nachdem wir kurz etwas verwundert über die schwer leserlichen Straßennamen waren, war uns klar, dass wir gerade Deutschland hinter uns gelassen haben und in Polen stehen!

Czesc Polska! Hallo Polen!

Ihr fragt euch jetzt sicherlich, ob wir den Unterschied bemerkkt haben!? Jein... Zuerst nicht. Aber bei genauerem hinschauen und als wir etwas weiter in die Stadt gekommen sind, hat man schon den ein oder anderen Unterschied bemerkt. Hier ist doch ein wenig die Zeit stehengeblieben und Straßen und Häuser sind teilweise stark sanierungsbedürftig...

 

Dann war es an der Zeit in unsere Pension einzuchecken. Diese war auf der polnischen Seite von Görlitz, also in Zgorzelec.

Der Start/Zielbereich des Marathons sollte gerade mal zehn Gehminuten von unserer Pension entfernt sein, perfekt!!!

Alles sauber, modern eingerichtet, absolut top! Klar, dass wir dann einen Abstecher in einige polnische Supermärkte gemacht haben, um uns mit Lebensmitteln einzudecken!

Etwas später machten wir nochmal einen kurzen Abstecher zum Start/Zielbereich, um uns zu vergewissern, dass es tatsächlich nur 10 Minuten dorthin sind. Passt!!! Und was für ein Timing. Dort an der Bühne war gerade die Siegerehrung des Race Across Germany Radrennens. Eine Art Ultramarathon der Rennradfahrer. Bei dieser Tour ging es von Aachen nach Görlitz, schlappe 780 Kilometer mit lächerlichen 7800 Höhenmetern! Und das am Stück! Teilweise mit selbstverpflegung! Alter, die müssen bekloppt sein!!! Der Sieger hat etwas um die 26 Stunden benötigt. Das Hauptfeld kam so um die 32 Stunden ins Ziel! Verrückt! Und die Jungs konnten noch ganz normal gehen!

 

Bei Bier und Chips genossen wir dann das schöne Wetter auf unserem Balkon, ehe Nachtruhe angesagt war. Denn am nächsten morgen um 9:05 Uhr war es mal wieder an der Zeit, einen Marathon zu laufen!

 

Da standen wir nun. Europamarathon Görlitz. Serkan und ich an der polnischen Grenze, bereit und hochmotiviert, die 42,195 Kilometer in Angriff zu nehmen. Dreh und Angelpunkt der Veranstaltung ist die Elisabethstraße. Hier haben die Veranstalter ein kleines Marathondorf hingezaubert. Zelte mit Verkaufsständen, Essens und Getränkestände, also alles was das Herz begehrt. Sogar an die Kinder wurde gedacht. Trampoline und das ein oder andere Fahrgeschäft waren vorhanden! Wirklich klasse, was der Europamarathon Verein hier aufgetischt hat. Es ist eine Mischung aus Volksfest und Sportveranstaltung und das in einer wunderschönen Stadt bei familiärer Atmosphäre! Echt toll!!!

Auf einer großen Leinwand konnte man das treiben am Start Ziel Bereich beobachten. Moderiert wurde das Ganze von 2 klasse Typen, die das Ding gerockt haben. Einer auf deutsch und der andere auf polnisch! Die zwei hatten es echt drauf, die Leute zu animieren. Stark!!!

Und überhaupt, hier herrschte eine tolle Stimmung. Man spürte eine angenehme Harmonie zwischen den deutschen und den zahlreichen polnischen Sportlern. Sport verbindet eben!!!

 

Vor unserem Start, gingen die Einradfahrer auf die Strecke. Sie fuhren um die offene Deutsche Meisterschaft im Einrad Marathon. Respekt und Hut ab, einen Marathon auf so einem Teil zurück zu legen, für mich unvorstellbar! Gerade mal 120 Marathonis sollten starten, also sehr überschaubar. Ich nahm mir vor, so eine Zeit um die 3:30 Stunden zu laufen. Mit der Strecke habe ich mich vorher nicht wirklich beschäftigt. Ich bin von ausgegangen, dass sie relativ flach ist...

9:05 Start zu meinem neunten Marathon in diesem Jahr. Der erste kilometer ging am Stadtpark entlang. Dort kann man den Meridianstein besichtigen. Der ist nämlich genau auf dem 15. Meridian (Längengrad) ausgerichtet. Nach diesem richtet sich die Mitteleuropäische Zeit. Danach ging es über die Stadtbrücke (auch Papst-Johannes-Paul-II.-Brücke genannt) für einen circa 12 Kilometer langen Abstecher nach Polen. Meine Pace pendelte sich zwischen 4;50 und 5 Minuten pro Kilometer ein. Ne Woche nach der Hitzeschlacht in Gelsenkirchen fühle ich mich gut! Und auch das Wetter war ganz ok. Es sollte so 22 bis 24 Grad sein. Zum Glück war es bewölkt und die liebe Sonne zeigte sich nur ganz selten. Bereits auf den ersten Kilometer musste ich feststellen, dass die Strecke nicht wirklich flach war. Sie war eher wellig und es ging ständig ganz leicht hoch und wieder runter. Auf polnischer Seite war nicht wirklich viel los an der Strecke. Vereinzelt applaudierten einige Zuschauer, die den Weg an die Strecke gefunden hatten. Die meisten Einwohner im polnischen Zgorzelec machten es sich an ihren Fenstern bequem und beobachteten das Treiben von dort aus.

Der Straßenbelag war doch ab und an etwas marode und man musste ein wenig achten, wo man aufsetzte. Nach knapp 13 Kilometern ging es dann wieder nach good old Germany.

Und wir wurden gleich von einer Musikgruppe empfangen, die sehr Stimmungsvoll war. In Görlitz selbst waren viele Menschen an der Streck und es machte Spaß durch die schöne Stadt zu laufen. Aber nach wie vor war es ein auf und ab. Da auch "nur" 120 Marathonis am Start waren, war es das ein oder andere mal etwas einsam auf der Strecke. Ich lieferte mir mit vier weiteren Läufern einen ständigen Positionswechsel. Darunter zwei Polen. Beim Überholen motivierten und feuerten wir uns gegenseitig an.

Bei der Halbmarathonmarke verbuchte ich ein 1:46 Stunden. Da war mir aber schon bewusst, falls es so wellig bleiben sollte, wird das nichts mit einer Zeit um die 3:30...  Bei Kilometer 25 ging es beim Segelflugplatz Görlitz vorbei. Kurze Zeit später, kam dann meiner Meinung nach einer der schönsten Abschnitte der Strecke. Es ging raus in die Natur. Und die Lausitz ist wunderschön! Die nächsten 6 Kilometer führte die strecke quasi im Halbkreis um die Landeskrone herum. Die Landeskrone ist vulkanischen Ursprungs, sie besitzt einen Granitsockel mit einem Basaltkegel. Sie entstand vor ca. 34 Mio. Jahren als Schlackenkegel. Dabei bildete gasreiche und basaltische Schmelze aufgeschäumte Lavafetzen (Schlacken), die beim Austritt an die Erdoberfläche entstanden. Die Schlacken wurden beim Auswurf rings um den Lavaschlot abgelagert und formten einen Schlackenwall. Dieser wurde jedoch weitgehend wieder durch Wasser und Wind erodiert. Ein Lavasee aus gasarmer Lava, der sich während der späten vulkanischen Aktivität im Innern des Schlackenkegels gebildet hatte, überstand weitgehend die Erosion und bildet die Kuppe. Um das Jahr 900 wurde auf dem Gipfel eine Wehranlage errichtet. Geschleift wurde diese im Jahr 1440, als sie in den Besitz der Stadt Görlitz gelangte. Später nutzen die Höhe militärische Kräfte als Beobachtungs- und Sammelpunkt. Heute sind da oben ein Hotel mit einer Einkehrmöglichkeit und die Bismarcksäule. Die Landeskrone hat eine Höhe von 420 Meter.

Den höchsten Punkt der Strecke erreichen wir in Kunnerwitz bei Kilometer 34. Zu diesem Zeitpunkt ist meine Motivation am Tiefpunkt. Dieses ständige auf und ab, hat an meinen Kräften gezerrt und ich spühre, dass ich erst vor sieben Tagen Marathon gelaufen bin. Keine Energie mehr... Und trotz Gels, Cola und Iso will der Motor einfach nicht mehr so richtig zünden. Aber das ist vollkommen ok. Ankommen steht bei meinem Projekt im Vordergrund und ich habe überhaupt keinen Druck bezüglich Zeit. Also heist es Krone richten und weiter laufen! Meinen vier Wegbegleitern ergeht es nicht anders. Einer hat abreisen lassen, mit den anderen drei wechsel ich ständig die Positionen. Bei Kilometer 37 komme ich dann wieder nach Görlitz. So langsam läuft es wieder recht gut bei mir. Bis zu dem Zeitpunkt, als mir ein Zuschauer motivierent zuruft, "auf gehts Junge, noch eine Steigung und dann bist du fast im Ziel!"

Waaaaaaas??? Noch so eine verdammte Steigung???  Und der Mann hat recht behalten! Bei Kilometer 39 geht es dann noch einmal gaaaanz lang nach oben. Verdammt! Nach kurzer Zeit beschliesse ich diese letzte Steigung zu gehen. Nach circa 2 Minuten gehen fällt mir aber auf, dass die Spitze der Straße nicht wirklich näher kommt! Also heißt es doch wieder laufen. Ein Mann mit Trommel steht an der Strecke und ruft mir zu und feuert mich an. Danke dafür!!! Irgendwie habe ich das in diesem Moment dringend benötigt und ich ziehe dass Tempo wieder an. Und endlich, oben angekommen, steht das Kilometerschild 40. Und jetzt geht es fast nur noch abwärts! Die letzten 2 Kilometer laufe ich in einer 5er Pace. Bei Kilometer 42 geht es nach links auf die letzten 195 Meter. Dort überhole ich noch einen Läufer bevor ich voller Stolz die Ziellinie überquere! Ein Mädchen hängt mir meine hart erarbeitete Medaille um. YESSSS!!! Marathon Nummer 9 ist in der Tasche! Die Uhr zeigt mir eine Zeit von 3:49:xx Stunden an und knapp über 300 Höhenmeter. Hätt ich das mal vorher gewusst, dann wäre ich diesen "Sauhund" etwas anders angegangen!

Im Ziel setzte ich mich erst einmal hin und trinke und esse eine Kleinigkeit. Etwa vierzig Minuten später kommt Serkan, den ich im Zielkanal empfange. Auch ihn hat die wellige Strecke sichtlich mitgenommen. Dennoch war er knapp 2 Minuten schneller als eine Woche zuvor in Gelsenkirchen, SAUBER!!! Zur Belohnung gab es ein Fischbrötchen von mir! :-))

 

Danach ging es in die Pension zum duschen. Serkan machte ein kleines Päuschen, während ich nochmal zum Ort des Geschehens ging. Dort konnte ich der 1. Vorsitzenden des Europamarathon Vereins Frau Martina Fourier als Dank für 2 Freistarts, die als Spende an die Aktion für krebskranke Kinder e.V. gehen, ein grünes Armband der Athletes for Charity überreichen! Nochmals Daaaanke für die Unterstützung!!!

 

Am Abend gab es dann auf polnischer Seite ein Belohnungsessen. Rinderroulade mit polnischen Nudeln und Rotkraut. Absolut köstlich!!!

Dann war auch dieses schöne und interessante Wochenende Geschichte!

 

Fazit:Eine sehr schöne, familiäre Veranstaltung. Perfekte Organisation, in einer wunderschönen Stadt! Eine tolle und abwechslungsreiche Strecke, die mit ihren über 300 Höhenmetern nicht so ohne ist. Der Marathon verdient deutlich mehr Teilnehmer!!!